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24. Janu­ar 2022 (aktua­li­siert am 16. Dezem­ber 2023)

Für ein Unter­neh­men stellt sich die Fra­ge, wie es sich gegen­über dem Pro­blem ver­hal­ten soll. Wir leh­nen uns hier an die umfas­sen­de Typo­lo­gi­sie­rung von Ver­hal­tens­mög­lich­kei­ten einer Orga­ni­sa­ti­on auf ein Pro­blem hin nach H. Breit­sohl (2009). Die­ser unter­schei­det zwi­schen vier Ver­hal­tens­mu­stern mit je drei Varianten:

  • aus­wei­chend (Rück­zug, Ver­schleie­rung, Verneinung),
  • ver­tei­di­gend (Ent­kopp­lung, Ent­schul­di­gung, Defi­ni­ti­on der Situation),
  • aner­ken­nend (Erklä­rung, Recht­fer­ti­gung, Schuldeingeständnis),
  • anpas­send (Ent­schä­di­gung oder Rück­ruf, Tren­nung, Restrukturierung).

Die­se Ver­hal­tens­mu­ster unter­schei­den sich durch die fol­gen­den Hal­tun­gen gegen­über dem Pro­blem:

  • die Orga­ni­sa­ti­on erkennt das Pro­blem an,
  • die Orga­ni­sa­ti­on über­nimmt die Ver­ant­wor­tung dafür (Ver­ant­wort­lich­keits­frame; Schuldfrage),
  • die Orga­ni­sa­ti­on sucht aktiv nach Lösungen.



Die Liste von Breit­sohl (2009, S. 19; sie­he auch Thies­sen, 2014, S. 112) unter­schei­det nicht zwi­schen de fac­to Stra­te­gien und eigent­li­chen Botschaftsstrategien. 

Botschaftsstrategien nach Coombs und Benoit

Aus­schliess­lich mit Bot­schafts­stra­te­gien set­zen sich dage­gen Coombs (2007) und Benoit aus­ein­an­der. Zen­tral ist bei bei­den Ansät­zen die Fra­ge, mit wel­chen Bot­schafts­stra­te­gien (Kom­mu­ni­ka­ti­ons­in­hal­ten) das Image eines Unter­neh­mens repa­riert, respek­ti­ve ein Repu­ta­ti­ons­ver­lust ver­hin­dert wer­den kann. Mass­sge­bend dabei ist bei Coombs der Ver­ant­wort­lich­keits­grad, den die Öffent­lich­keit, respek­ti­ve Stake­hol­der dem Unter­neh­men zuschrei­ben. Die­ser wird unter ande­rem davon ab, wie die Kri­se gefr­amt auf der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ebe­ne gefr­amt wird. Coombs unter­schei­det zwi­schen drei Kri­sen­ty­pen (ver­meid­ba­re Kri­se, Zufalls­kri­se, Opfer­kri­se), was unse­rem Kon­zept der Kri­sen­rol­len des Unter­neh­mens sehr nahekommt.

Empfehlungen von Armin Töpfer

In der Regel hält ein Unter­neh­men wäh­rend einer Kri­se nicht an einem Ver­hal­tens­mu­ster fest. Es wech­selt mit der Zuspit­zung der Kri­se viel­mehr die Posi­ti­on von aus­wei­chend bis hin zu anpas­send. In einer publi­zi­stisch-öffent­li­chen Liti­ga­ti­ons­kri­se wird das Unter­neh­men zu einer aner­ken­nen­den und anpas­sen­den Hal­tung verpflichtet.

So läuft nach Armin Töp­fer (2014, S. 281) die Unter­neh­mens­kom­mu­ni­ka­ti­on schritt­wei­se ab. Er emp­fiehlt folgendes:

  • Unmit­tel­bar nach Kri­sen­ein­tritt soll­te sich das Unter­neh­men ent­schul­di­gen und die per­sön­li­che Betrof­fen­heit über all­fäl­li­ge Scha­dens­ein­wir­kun­gen bei Drit­ten aus­spre­chen. Eben­so soll­te eine Zusi­che­rung zur unein­ge­schränk­ten Auf­klä­rung des Kri­sen­falls mit den Ursa­chen erfolgen.
  • Kon­kre­te Mass­nah­men zur Wie­der­gut­ma­chung wie bei­spiels­wei­se Rück­ruf­ak­tio­nen wer­den bekannt gemacht und auch umgesetzt.

Par­al­lel dazu wer­den Kon­se­quen­zen für die Zukunft for­mu­liert, damit sich sol­che Kri­sen nicht wiederholen.

Im Fol­gen­den gehen wir ein­ge­hen­der auf die Stra­te­gien bei offen­sicht­li­chem Fehl­ver­hal­ten und bei Män­geln in Dienst­lei­stung und Pro­duk­ten ein, die in den hier behan­del­ten Fäl­len ange­wandt wor­den sind.

Verhalten bei offensichtlichem Fehlverhalten

Ableug­nen oder abweh­ren kann kurz­fri­stig als Not­lö­sung gel­ten, ist jedoch län­ger­fri­stig eine schlech­te Stra­te­gie, da man über kurz oder lang damit rech­nen muss, dass die Wahr­heit ans Licht kommt. Die­se Reak­ti­on kann aller­dings in spe­zi­el­len Situa­tio­nen auf­grund wirt­schaft­li­cher oder recht­li­cher Rah­men­be­din­gun­gen gerecht­fer­tigt sein. So hät­te etwa ein kate­go­ri­sches Zuge­ständ­nis der Tabak­in­du­strie, Rau­chen ver­ur­sa­che Krebs, in den 1960er- bis 1990er-Jah­ren eine Wel­le an Pro­duk­te­haft­pflicht­kla­gen aus­ge­löst, die für die Tabak­kon­zer­ne kata­stro­pha­le Fol­gen gehabt hätten.

Die Stra­te­gie der Schuld­zu­wei­sung an ande­re wird in Kri­sen gern infol­ge Fehl­ver­hal­tens ein­ge­setzt, hat aber erfah­rungs­ge­mäss kur­ze Bei­ne, da die Wahr­heit in unse­rer Infor­ma­ti­ons­ge­sell­schaft frü­her oder spä­ter ans Licht kommt. Soll­te sich eine sol­che Stra­te­gie zu einem nach­hal­ti­gen kon­flikt­ar­ti­gen Streit um Schuld und Ver­ant­wor­tung ent­wickeln, so ist dies in jedem Fal­le für die Repu­ta­ti­on des Unter­neh­mens abträg­lich – dies unab­hän­gig davon, ob das Unter­neh­men nun Recht erhält oder nicht. Typisch ist hier der Skan­dal des Hed­wig-Kran­ken­hau­ses in Ber­lin aus dem Jah­re 2007.

Ana­log zur Réduit-Stra­te­gie kann das schwei­gen­de Abwar­ten gerecht­fer­tigt sein, wenn bis­lang nicht ein­deu­tig erwie­sen ist, wer genau den Miss­stand ver­ur­sacht und wie gra­vie­rend der Miss­stand für die Betrof­fe­nen ist. Zuwar­ten zeigt sich auch dann an, wenn man damit rech­nen kann, dass die Kri­se am Abklin­gen ist. In einer sol­chen Situa­ti­on wür­de das Unter­neh­men mit einem Kom­men­tar unnö­ti­ger­wei­se Öl ins Feu­er giessen.

Die Ankün­di­gung von Kor­rek­tu­ren, Ver­bes­se­run­gen oder ins­künf­ti­gem Unter­las­sen ist in den mei­sten Fäl­len ange­mes­sen, da das Unter­neh­men als schul­di­ge Instanz dar­ge­stellt und wahr­ge­nom­men wird. Das Prin­zip der öffent­li­chen Ent­schul­di­gung erleich­tert die Dis­kus­si­on und ermög­licht eine nach vorn gerich­te­te Infor­ma­ti­ons­ar­beit. In psy­cho­lo­gi­schen Expe­ri­men­ten wur­de nach­ge­wie­sen, dass Per­so­nen, die sich bei den ande­ren ent­schul­di­gen, von die­sen posi­ti­ver bewer­tet wer­den.“ (Homu­th 1997, S. 13; in Anleh­nung an Furcher 1996, S. 21; Piwinger/Niehüser 1991, S. 26) Über Ent­schul­di­gungs­stra­te­gien lie­gen in der Zwi­schen­zeit vie­le Unter­su­chungs­er­geb­nis­se vor, die in die­ser Enzy­klo­pä­die aus­führ­lich unter Ent­schul­di­gungs­stra­te­gie behan­delt werden.

Die Fall­bei­spie­le machen deut­lich, dass man Vor­wür­fe öffent­lich ernst neh­men soll. Die Abwei­sung der Schuld respek­ti­ve die Zuwei­sung der Schuld auf ande­re (mög­lichst aus­ser­halb der Orga­ni­sa­ti­on) ist eine häu­fig beob­acht­ba­re Fehl­re­ak­ti­on auf Skan­da­li­sie­rungs­ver­su­che der Medi­en. Sol­che Stra­te­gien sind in der aku­ten publi­zi­stisch-öffent­li­chen Kri­sen­si­tua­ti­on höchst gefähr­lich, da sie erstens den Miss­stand bestä­tig­ten und zwei­tens bei der ver­un­si­cher­ten Bevöl­ke­rung den Ein­druck hin­ter­las­sen, man wol­le die Ver­ant­wor­tung abschie­ben. Sie hat ledig­lich Chan­cen auf einen posi­ti­ven Aus­gang der Kri­se für die Orga­ni­sa­ti­on, wenn die Unschuld klar und ein­deu­tig bewie­sen wer­den kann und die­se Aus­sa­ge erst in der Pha­se der abklin­gen­den Kri­se ein­ge­bracht wird, da sie in der Regel weni­ger emo­tio­nal und spe­ku­la­tiv gefärbt ist.

Bei pro­ble­ma­ti­schen Zustän­den infol­ge von offen­sicht­li­chem oder ver­mu­te­tem Fehl­ver­hal­ten, die in den Medi­en publik wer­den, emp­fiehlt es sich, die Wahr­heit früh­zei­tig auf den Tisch zu legen; falls dies nicht mög­lich ist, zu ver­si­chern, dass nach den Ursa­chen gesucht wird.

  • die Wahr­schein­lich­keit ist gross, dass die Wahr­heit frü­her oder spä­ter ans Licht kommt, da die Medi­en recherchieren,
  • ver­mu­te­te Ver­schul­dun­gen sind der beste Nähr­bo­den für Gerüch­te und Spe­ku­la­tio­nen, über die so lan­ge öffent­lich dis­ku­tiert wird, bis die Wahr­heit ans Licht kommt, oder noch schlim­mer: bis eine Spe­ku­la­ti­on unab­hän­gig von ihrem Wahr­heits­wert in der Öffent­lich­keit als Wahr­heit akzep­tiert wird.

Verhalten bei fehlerhaften Produkten

Das­sel­be trifft bei man­gel­haf­ten Pro­duk­ten oder schlech­ten Dienst­lei­stun­gen zu, die sich in der Regel auf Fehl­ver­hal­ten zurück­füh­ren las­sen. Aller­dings ist hier die Fra­ge der Schuld und Ver­ant­wor­tung von zweit­ran­gi­ger Bedeu­tung. Zen­tral sind die Glaub­wür­dig­keit des Unter­neh­mens und das Ver­trau­en der Kund­schaft in die Dienst­lei­stung oder das Pro­dukt. Wie beim Fehl­ver­hal­ten sind hier die kon­ti­nu­ier­li­che Kom­mu­ni­ka­ti­on und die Trans­pa­renz Erfolgs­fak­to­ren: „Nur wer in sei­ner Unter­neh­mens­stra­te­gie den Umgang mit eige­nen Feh­lern kodi­fi­ziert, sich zu ihnen bekennt und dies an 356 Tagen im Jahr umsetzt, behält sei­ne Glaub­wür­dig­keit auch in har­ten Zei­ten. Hier hel­fen kei­ne schlag­licht­ar­ti­ge, reak­ti­ve Kri­sen­kom­mu­ni­ka­ti­on, kein hart­näcki­ges Ver­nei­nen offen­kun­di­ger Fehl­ent­wick­lun­gen und kein tem­po­rä­rer Ein­satz exter­ner Inter­ven­ti­ons­teams.“ (Stein­ke 2014, S. 19)

Wann immer mög­lich soll­te auf Pro­blem­ebe­ne der Miss­stand so schnell wie mög­lich kor­ri­giert und dies auch publi­ziert wer­den. Ent­schei­dend ist dabei, dass die Öffent­lich­keit die­ses Ver­hal­ten als ernst gemein­tes Bemü­hen akzep­tiert. So kön­nen sol­che Mass­nah­men selbst dann gerecht­fer­tigt sein, wenn sie rea­li­ter wenig oder gar nichts zur Pro­blem­lö­sung bei­tra­gen. Bekannt sind die Abwrackung von Brent Spar infol­ge des Drucks von Green­peace (sie­he S. 78) oder die Rück­ruf­ak­ti­on von Mer­ce­des Benz im Fal­le des miss­lun­ge­nen Elch­tests der Klas­se A (sie­he S. 205).

Rück­ruf­ak­tio­nen in der Kon­sum­gü­ter­bran­che gel­ten – wenn auch kosten­in­ten­siv – als effek­ti­ve Mass­nah­men, wenn Pro­dukt­feh­ler bekannt wer­den. Sie wer­den von den Medi­en posi­tiv auf­ge­nom­men und sind in die­sem Sin­ne pro­ba­te Instru­men­te zur Wie­der­her­stel­lung des Ver­trau­ens der Kund­schaft. So hat die Rück­ruf­ak­ti­on von Daim­ler-Benz nach dem Elch­test-Deba­kel zu einem posi­ti­ven Geschäfts­ver­lauf des Kon­zerns bei­getra­gen. Weni­ger spek­ta­ku­lär war die Rück­ruf­ak­ti­on von BMW im Jah­re 2007 auf­grund von Feh­lern beim Brems­sy­stem von Motorrädern.

Rück­ruf­ak­tio­nen als Wie­der­gut­ma­chung kön­nen auch gericht­lich ver­ord­net wer­den. Dies ist dann pro­ble­ma­tisch, wenn die Kosten für das Unter­neh­men nicht mehr trag­bar sind und die Fir­ma in die Insol­venz trei­ben. So muss­te die japa­ni­sche Auto­zu­lie­fe­rin Taka­ta im Jah­re 2017 infol­ge der Rück­ruf­ak­tio­nen von defek­ten Air­bags Insol­venz anmel­den. In sol­chen Fäl­len ist die Rück­ruf­ak­ti­on nicht eine Mass­nah­me gegen die Kri­se, son­dern ein zusätz­li­cher Kri­sen­trei­ber.

Quellen

Breit­sohl, H. (2009). Lin­king Orga­nizatio­nal Cri­ses and Reac­ti­ve Stra­te­gies via Dimen­si­ons Of Legi­ti­ma­cy (Schum­pe­ter Dis­cus­sion Papers sdp09005). Uni­ver­si­täts­bi­blio­thek Wup­per­tal, Uni­ver­si­ty Libra­ry. https://ideas.repec.org/p/bwu/schdps/sdp09005.html

Thie­ßen, A. (Hrsg.). (2014). Hand­buch Kri­sen­ma­nage­ment. Sprin­ger Fach­me­di­en Wies­ba­den. https://doi.org/10.1007/978–3‑658–04293‑6