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Kommunikationsstrategien während einer Krise (Grundmuster)

8. Novem­ber 2021

Sie­he auch kon­zept­ge­steu­er­te Kommunikation

Kom­mu­ni­ka­ti­ons­stra­te­gien wäh­rend einer Kri­se, zie­len nach Ansicht bekann­ter Kri­sen­kom­mu­ni­ka­ti­ons­for­scher wie Benoit oder Coombs dar­auf ab, die Repu­ta­ti­on respek­ti­ve das Image der Orga­ni­sa­ti­on zu schüt­zen oder wie­der her­zu­stel­len. Auf der Basis der Kri­sen­ver­laufs­kar­te las­sen sich jedoch wei­te­re Auf­ga­ben ableiten:

  • Sicher­stel­len des Infor­ma­ti­ons­flus­ses und der Qua­li­tät der not­wen­di­gen Infor­ma­ti­on, um materielle/technische Pro­ble­me zu behe­ben (Ebe­ne 1)
  • Ver­hal­ten Betrof­fe­ner und von Anspruchs­grup­pen beein­flus­sen, um nega­ti­ve Reak­tio­nen mög­lichst zu ver­hin­dern (Ebe­ne 2 und 4) 

Strategische Kommunikationsgrundmuster während einer Krise

Grund­sätz­lich ste­hen einem Unter­neh­men wäh­rend einer Kri­se die fol­gen­den Ver­hal­tens­op­tio­nen gegen­über der Öffent­lich­keit und den Medi­en offen:

  • Es kom­mu­ni­ziert (pro-)aktiv.
  • Es ver­hält sich reak­tiv, indem es nur auf Anfra­gen reagiert und mög­lichst zurück­hal­tend informiert.
  • Es geht vor­erst ein­mal dem Dai­ly busi­ness nach, als sei gar nichts pas­siert und nimmt eine akti­ve Infor­ma­ti­ons­po­li­tik wahr, sobald das öffent­li­che Inter­es­se abge­flaut ist. (Réduit-Stra­te­gie).
  • Es ver­folgt kon­se­quent eine No-Com­ment-Stra­te­gie und ver­hält sich auch nach der Kri­se verschwiegen.

Proaktive Informationsstrategie

Mit einer pro­ak­ti­ven Infor­ma­ti­ons­po­li­tik ver­pflich­tet man sich dem Grund­satz der Wahr­haf­tig­keit und der Trans­pa­renz. Man ver­hin­dert Spe­ku­la­tio­nen, Gerüch­te und Falsch­mel­dun­gen, wel­che das Inter­es­se der Öffent­lich­keit wecken, die Jour­na­li­sten zu Recher­chen anspor­nen und eine publi­zi­sti­sche Kri­se verlängern.

Nach die­sem Grund­satz sind Kri­sen bis ins Detail auf­zu­ar­bei­ten und der Öffent­lich­keit die Ursa­chen, Kon­se­quen­zen die­ser Kri­se und die ein­ge­lei­te­ten Mass­nah­men offen dar­zu­le­gen. Die Betrof­fe­nen sol­len in den Pro­zess, der durch die Kri­se aus­ge­lö­sten Ver­än­de­run­gen ein­be­zo­gen wer­den. Durch ver­ant­wor­tungs­vol­les Han­deln und vor allem trans­pa­ren­tes Kom­mu­ni­zie­ren soll das Ver­ständ­nis und Ver­trau­en her­ge­stellt wer­den bezie­hungs­wei­se erhal­ten blei­ben: „Wer in Kri­sen früh­zei­tig und umfas­send infor­miert, ohne unan­ge­neh­me Tat­sa­chen zu ver­schwei­gen, ris­kiert zwar einen unmit­tel­ba­ren Image­ein­bruch. Die offe­ne Hal­tung und die ehr­li­che Dar­stel­lung der Tat­sa­chen füh­ren jedoch, wenn sich die Emo­tio­nen gelegt haben, zu einem Image­ge­winn, der nach­hal­ti­ger wirkt als der erste Schock.“ (Rei­ne­ke 1997, S. 57 f.; sie­he auch Apitz 1987, S. 63)

Verhaltene Informationspolitik

Eine ver­hal­te­ne Infor­ma­ti­ons­po­li­tik nach Aus­bruch einer publi­zi­stisch-öffent­li­chen Kri­se ist mög­lichst zu ver­mei­den, wie die Fäl­le Diesel­skan­dal und Schwei­zer­hal­le deut­lich zei­gen. Im Fall Schwei­zer­hal­le hat ein sol­ches Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ver­hal­ten des ehe­ma­li­gen Bas­ler Che­mie­kon­zer­nes San­doz eine Wel­le von Nega­tiv­schlag­zei­len – nicht nur über die Umwelt­ka­ta­stro­phe selbst, son­dern eben­falls über die Infor­ma­ti­ons­po­li­tik – aus­ge­löst und zu Pro­test­kund­ge­bun­gen der Bas­ler Bevöl­ke­rung geführt. Beim Die­sel­skan­dal ver­such­te Volks­wa­gen anfäng­lich, das Fehl­ver­hal­ten des Manage­ments zu ver­schwei­gen, bis die Behör­den den Miss­stand auf­ge­deckt hat­ten und offi­zi­ell mach­ten. Die Fol­ge waren ein Ver­trau­ens­ver­lust in der Bevöl­ke­rung, recht­li­che Mass­nah­men, Absatz­ein­bus­sen und der Fall des Aktienkurses.

Eine ver­hal­te­ne Infor­ma­ti­ons­po­li­tik kann not­wen­dig sein, wenn

  • dem Unter­neh­men bis­lang nicht alle Fak­ten vorliegen,
  • Aus­sa­gen einen lau­fen­den Gerichts­pro­zess beein­flus­sen könn­ten oder
  • höhe­re Zie­le des Unter­neh­mens dazu anord­nen und das Scha­dens­aus­mass bei Bekannt­ga­be der Fak­ten grös­ser wäre als das­je­ni­ge der lau­fen­den Kri­se.

Wich­tig in einem sol­chen Fal­le ist jedoch, dass das Unter­neh­men die­ses Ver­hal­ten öffent­lich begründet.

No-Comment-Strategie

Die No-Com­ment-Stra­te­gie geht von den fol­gen­den Annah­men aus:

  • Das öffent­li­che Gedächt­nis ver­gisst schnell. Etwas bleibt aller­dings immer hän­gen, was sich nach­hal­tig auf das Ver­trau­en, das Image oder die Repu­ta­ti­on der Orga­ni­sa­ti­on auswirkt.
  • Jedes Medi­en­the­ma klingt nach einer gewis­sen Zeit ab. Die Lebens­dau­er wird umso gerin­ger, je weni­ger Stoff durch Stel­lung­nah­men gege­ben wird. Je kür­zer das Spek­ta­kel, desto schnel­ler ist Gras über die Sache gewach­sen. Oder umge­kehrt: Mit einer akti­ven Infor­ma­ti­ons­po­li­tik wäh­rend einer publi­zi­stisch-media­len Kri­se schürt man unnö­tig das Feu­er. (Sie­he Apitz 1987, S. 63).

Eine No-Com­ment-Stra­te­gie bie­tet sich an, wenn das Unter­neh­men zur Erkennt­nis gelangt, dass bei einer offe­nen Infor­ma­ti­ons­po­li­tik der Scha­den grös­ser ist als der Nut­zen. Dies kann der Fall sein, wenn

  • das Unter­neh­men nach­weis­lich das Pro­blem ver­ur­sacht hat, das nicht mehr kor­ri­giert wer­den kann,
  • das Unter­neh­men per se einen schlech­ten Ruf in der Öffent­lich­keit hat (Genuss­mit­tel­bran­che),
  • sich bei einem Skan­dal oder Kon­flikt die öffent­li­che Mei­nung gegen das Unter­neh­men soweit gefe­stigt hat, dass jede Infor­ma­ti­on des Unter­neh­mens abprallt oder als unglaub­wür­dig ein­ge­stuft wird.

In allen ande­ren Fäl­len soll­te die No-Com­ment-Stra­te­gie ver­mie­den wer­den, da sie das Miss­trau­en und den Arg­wohn der Medi­en und der Öffent­lich­keit weckt und schliess­lich das Gegen­teil von dem bewirkt, was man eigent­lich will: Die Medi­en stüt­zen sich auf Gerüch­te und Spe­ku­la­tio­nen und schü­ren das Feu­er gegen das Unternehmen.

Zusatzbemerkungen

Zudem ist zu beden­ken, dass in unse­rem Infor­ma­ti­ons­zeit­al­ter jede Schlag­zei­le im Inter­net ver­ewigt ist. Jede Goog­le-Recher­che kann den Fall mit­samt Nega­ti­vin­for­ma­tio­nen wie­der auf­le­ben lassen.

Nicht zuletzt festigt ein nega­tiv gela­de­nes Medi­en­spek­ta­kel nicht nur die Ein­stel­lung der Kri­ti­ker, son­dern beein­flusst eben­so die Ein­stel­lung der Befür­wor­ter und Unent­schie­de­nen gegen­über dem Unternehmen.

Ver­schwie­gen­heit kann zwar bei gewis­sen Grup­pen und in gewis­sen Situa­tio­nen als Stär­ke (Über­le­gen­heit, Beson­nen­heit) inter­pre­tiert wer­den. In Kri­sen­si­tua­tio­nen ist aller­dings die Wahr­schein­lich­keit gross, dass die­ses Ver­hal­ten von der brei­ten Bevöl­ke­rung als Schwä­che („die Vor­wür­fe sind gerecht­fer­tigt“) wahr­ge­nom­men wird.

Réduit-Strategie

In den mei­sten der oben genann­ten Fäl­le ist eine Réduit-Stra­te­gie einer kon­se­quen­ten No-Com­ment-Poli­tik vor­zu­zie­hen. Das Unter­neh­men geht wäh­rend der Kri­se auf Tauch­sta­ti­on und kom­mu­ni­ziert aktiv erst nach Abflau­en der Kri­se. Dies ist ins­be­son­de­re dann ange­zeigt, wenn

  • gesi­cher­te Infor­ma­tio­nen nach Aus­bruch der Kri­se fehlen,
  • die öffent­li­che Mei­nung gegen die Orga­ni­sa­ti­on gefe­stigt ist,
  • bei den Medi­en die Bereit­schaft zur Dra­ma­ti­sie­rung und Skan­da­li­sie­rung spür­bar vor­han­den ist oder die publi­zi­stisch-öffent­li­che Kri­se soweit auf emo­tio­na­ler Ebe­ne soweit eska­liert (Empö­rung, Bedau­ern, Mit­leid), dass es schwie­rig ist, mit sach­li­chen Infor­ma­tio­nen Gegen­steu­er zu geben. Es fällt dann leich­ter, sei­ne Posi­ti­on öffent­lich zu ver­tre­ten, wenn das The­ma emo­tio­nal am Abklin­gen ist und Wider­sa­cher ihre „Muni­ti­on ver­schos­sen“ haben.

Das Réduit ver­schafft einem ange­pran­ger­ten Unter­neh­men wäh­rend der lau­fen­den publi­zi­stisch-öffent­li­chen Kri­se die Zeit, die Situa­ti­on zu ana­ly­sie­ren (ins­be­son­de­re die Schwä­chen all­fäl­li­ger Wider­sa­cher) und eine über­leg­te Kom­mu­ni­ka­ti­on nach der Kri­se zu formulieren.

Eine sol­che Stra­te­gie hat­te Jürg Mau­rer, der ehe­ma­li­ge Anla­ge­chef der Pen­si­ons­kas­se Rie­ter, beim Pen­si­ons- und Finanz­markt-Skan­dal um die Fusi­on der Swiss­first mit der Bel­le­vue Bank vom Sep­tem­ber 2005 ange­wandt: Im Som­mer 2006 wur­de der Vor­wurf publik, dass sich Mana­ger von sechs Schwei­zer Pen­si­ons­kas­sen mit „Bestechung, Geheim­kon­ti, Mani­pu­la­ti­on“ pri­vat berei­chert hät­ten. Die Medi­en der Grup­pe Rin­gier nah­men neben dem Ban­kier Tho­mas Mat­ter (CEO der Swiss­first) Jürg Mau­rer ins Visier. Dabei berich­te­ten sie mit emo­tio­nal wirk­sa­men Schlag­wör­tern über den luxu­riö­sen Lebens­stil und den „unge­wöhn­li­chen“ Ver­mö­gens­zu­wachs des Pensionskassenverwalters.

Jürg Mau­rer hat in der Anfangs­pha­se wie wäh­rend der som­mer­li­chen Eska­la­ti­on der Affä­re an einer No-Com­ment-Stra­te­gie fest­ge­hal­ten, obwohl die Berich­te der Schwei­zer Zei­tung BLICK schar­fe Pro­vo­ka­tio­nen ent­hiel­ten: „Mexi­ko-Mau­rer: Feri­en wie ein Hol­ly­wood-Star“ „Der frech­ste Pen­si­ons­kas­sen-Ver­wal­ter der Schweiz: Statt sich den Vor­wür­fen zu stel­len, spielt Jürg Mau­rer (55) lie­ber Golf und geniesst Luxus-Feri­en in Mexi­ko.“ Erst nach­dem die Inten­si­tät der emo­tio­nal gela­de­nen Bericht­erstat­tung abge­flacht war, reagier­te Jürg Mau­rer mit einer Pressekonferenz.

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