21. September 2022
Als Fehlverhalten bezeichnet man ein Verhalten, das einer allgemein anerkannten Norm widerspricht, also gemeinhin als falsch oder schlecht beurteilt wird. Im Kontext sind die meisten, insbesondere die intern verursachten Krisen auf Fehlverhalten zurückzuführen (siehe Krisenauslöser). Neben Fehlhandlungen zählen wir auch Unterlassungen zu Fehlhandlungen. Dieser Aspekt ist für das Verständnis des Ansatzes von T. Coombs (2007) von Bedeutung: Nach dieser Theorie ist der Grad der dem Unternehmen attribuierten Verantwortlichkeit, respektive die Schuldzuweisung dann am grössten, wenn das Unternehmen die Krise hätte verhindern können.
De Facto, kommuniziert und attribuiert
Im Kontext einer Krise ist zu unterscheiden zwischen einem
- tatsächlichen Normbruch gegen in einer Kultur anerkannte Grundsätze und Regeln, was empirisch überprüfbar ist (Problemebene der Krisenverlaufskarte)
- in den Medien attribuierten und kommunizierten Normbruch (Ebene 2 der Krisenverlaufskarte)
- von der Öffentlichkeit / Bezugsgruppen / Einzelpersonen wahrgenommenes/attribuiertes Fehlverhalten (Ebene 3 der Krisenverlaufskarte)
Fehlverhalten als Normbruch
Bei einem Fehlverhalten handelt es sich gemeinhin um einen Verstoss gegen ethisch-moralische, rechtliche, ökologische, wirtschaftliche, technische oder auch sozial-kommunikative Grundsätze und Regeln handeln (Baeriswyl, 2018, S. 67). Solche Regeln sind gesetzt (verbindlich) und/oder beruhen in einer Kultur auf einem allgemeinen Konsens, auch wenn verschiedene soziale Gruppen diese unterschiedlich priorisieren.
- Wirtschaftliches Fehlverhalten betrifft Handlungen gegen wirtschaftliche Grundsätze und Gesetze auf Managementebene wie Fehleinschätzungen von Risiken, strategische Fehlplanungen, fehlendes Controlling usw. (Beispiel: Nokia)
- Technisches Fehlverhalten verstösst gegen technische Richtlinien, Normen, Gebrauchs- und Konstruktionsanleitungen wie die unsachgemässe Bedienung von Maschinen und Geräten. Die Folgen sind Fehlkonstruktionen, Produktmängel und Produktfehler. (Beispiel Deepwater Horizon)
- Rechtliches Fehlverhalten sind Verstösse gegen die Verfassung, Gesetze und Verordnungen. Massstab ist hier das gesetzte Recht. (Beispiel Cyberangriff auf Swatch)
- Ethisch-moralisches Fehlverhalten betrifft Verstösse gegen kulturelle und soziale Werte, Normen, Sitten und Gebräuche. Viele davon sind in den nationalen und internationalen Gesetzen verankert. (Beispiele: “Be less White”-Shitstorm gegen Coca-Cola, Mammut: Unterschrift löst Shitstorm aus)
- Ökologisches Fehlverhalten verstösst gegen die Gesetze der natürlichen Umwelt (Umweltverschmutzung, Destabilisierung der Natur, unverhältnismässiger Abbau von Rohstoffen).
- sozial-kommunikative Fehlhandlungen des Unternehmens. (Beispiel für Krisenauslöser: Adidas — Boston Marathon; Beispiel eines Krisenverstärker: Fall Hoechst)
Im allgemeinen Sprachgebrauch bezieht sich Fehlverhalten auf ethisch-moralische Normen, wenn das Fehlverhalten nicht näher spezifiziert wird.
Attribuiertes Fehlverhalten und nicht erfüllte Erwartungen
Von einem Unternehmen wird erwartet, dass es sich an die Normen der oben erwähnten Art hält. Neben den erwähnten Normbrüchen gibt es allerdings auch spezifische Erwartungshaltungen von Bezugsgruppen (oder Anspruchsgruppen) gegenüber dem Unternehmen, seinem Produkt oder seiner Dienstleistung. Analog zum erwähnten Fehlverhalten als Normbruch kann man hier von nicht erfüllten Erwartungen sprechen und dies auf Fehlverhalten zurückführen (siehe Stakeholder). Diese kommen zustande, wenn aus der Sicht einer Bezugsgruppe eine Diskrepanz zwischen dem Erlebten/Kommunizierten/Wahrgenommenen und dem Erwarteten besteht. Dies hat nicht nur unmittelbare Konsequenzen auf der Verhaltensebene der entsprechenden Bezugsgruppe, sondern kann sich negativ auf die Reputation, insbesondere auf das Vertrauen auswirken. Beispiel: Die Finanzgemeinde erwartete vom Unternehmen x für das Jahr 2022 einen von 20 Mio. CHF. Wider den Erwartungen erwirtschaftete es einen Verlust von 10 Mio. Franken.
Absicht und Interesse hinter einer Fehlhandlung
Einen entscheidenden Einfluss auf den Verlauf der Krise auf medialer Ebene mit Reaktionen auf politisch-rechtlicher Verhaltensebene hat der Umstand, ob eine Fehlhandlung
- unbewusst/fahrlässig oder (Fehlverhalten)
- bewusst/absichtlich (Fehlhandlungen)
gemacht worden ist.
Des Weiteren spielt es eine Rolle, ob das Fehlverhalten
- auf das Interesse des Unternehmens oder
- auf ein persönliches Eigeninteresse (ev. gegen das Interesse des Unternehmens)
zurückzuführen ist.
Relevant für die Auswirkungen der Krise auf das Unternehmen
- ist ebenfalls die Frage, ob das Fehlverhalten dem Management,
- einem Mitarbeiter (interne Krisenursache nach Reineke) oder
- einer externen Person(Gruppe) (externe Krisenursache nach Reineke)
zugeschrieben wird.
Unter der Berücksichtigung der Dimensionen intern/extern und Absicht hat T. Coombs die folgenden Krisentypen von Unternehmen abgeleitet:

Krisentypen unter der Berücksichtigung von Fehlverhalten nach Coombs
Fehlverhalten und interne Krisenursachen (auf Problemebene)
Die meisten internen Krisen (nach Reineke) lassen sich gemäss einer Untersuchung von Hauschildt et al. (2006, S. 6) auf Fehlverhalten von Management und Mitarbeiterschaft zurückführen (siehe Krisenauslöser). Dabei handelt es sich in erster Linie (ca. ein Drittel) um Missmanagement. Aber auch offensichtlich externe Krisen (nach Reineke) hängen oft mit Fehlverhalten zusammen:
“So verleiten strukturelle Krisen, verbunden mit zunehmendem Erfolgsdruck auf das Management, zu spekulativen Geschäften oder ethisch fragwürdigen (Mitarbeiterentlassung zur Gewinnmaximierung) oder gar widerrechtlichen Fehlhandlungen wie die Manipulation von Produkten. Bekannte Beispiele sind der VW-Dieselabgasskandal sowie die UBS-Krise in den Jahren 2007 und 2008. Im Unterschied zu den altbekannten Krisenauslösern führen hier nicht Fahrlässigkeit oder fehlende Erfahrung zum Problem, sondern bewusstes unethisches, meist widerrechtliches Verhalten von Ingenieuren oder Managern. Diese gehen bewusst riskante Geschäfte ein in der Hoffnung auf Erfolg und in der Erwartung, dass das Fehlverhalten nicht ans Tageslicht kommt.” (Baeriswyl, 2018, S. 69)
Fehlverhalten und Skandal/Skandalisierung
Wird das Fehlverhalten mit dem Verursacher in der öffentlichen Diskussion oder Berichterstattung gedeutet und akzentuiert, spricht man von einem Skandal. So etwa im Falle des Unglücks des Costa Concordia, wo das Unglück auf das Fehlverhalten von Kapitän Schettino zurückgeführt, der im Falle des Unglücks der Costa Concordia in rechtlicher und moralischer Hinsicht verantwortlich gemacht wird.
Morphologischer Kasten zur Analyse von Fehlverhalten
Der folgende morphologische Kasten erfasst die oben aufgeführten Dimensionen von Fehlverhalten (Parameter) mit den unterschiedlichen Merkmalen, bezogen auf eine Unternehmenskrise.
Parameter | Ausprägungen | |||||
Ebene Krisenverlaufskarte | real (Problemebene) | medial dargestellt / kommuniziert | öffentlich/von Anspruchsgruppen wahrgenommen/attribuiert | Folgeverhalten, Reaktion | ||
Art des Normbruchs | rechtlich | ethisch-moralisch | wirtschaftlich | technisch | ökologisch | sozial-kommunikativ |
wider die Erwartungshaltung von (Bezugsgruppen) | Politisch-rechtliche Instanzen | Mitarbeiterschaft | Finanzgemeinde, Aktionäre | Kundschaft | anderer | |
Handelnde Instanz (Fehlverhalten von …) | extern | Verwaltungsrats- mitglied | Person aus dem Management | Mitarbeiter | ||
Absicht | bewusst, absichtlich | unbewusst, fahrlässig, unterlassen | ||||
im Interesse | des Unternehmens | Eigeninteresse | anderer | |||
Ebene der Verantwortlichkeit | extern | Organisation | Person |
Durch die Kombination der Ausprägungen lässt sich Fehlverhalten systematisieren. Als Analyseinstrument kann es die Voraussetzungen schaffen, um Verantwortlichkeitszuschreibungen zu erklären und zu erfassen. Es ist aber auch ein Instrument, um situative Botschaftsstrategien im Sinne von Coombs zu verstehen und sinnvoll anzuwenden.
Fehlverhalten und Verantwortlichkeitsrolle des Unternehmens (siehe auch Coombs)
Oft wird der Urheber eines Fehlverhaltens für das Problem verantwortlich gemacht. Falls es sich jedoch um eine unternehmensinterne Ursache handelt, kann auch das Unternehmen für das Unternehmen verantwortlich gemacht werden. Ob und in welchem Masse ihm Verantwortung attribuiert wird, hängt davon ab,
a) ob das Problem als Fehlverhalten gedeutet oder auf einen materiellen Schaden zurückgeführt wird,
b) um welche Art von Fehlverhalten es sich handelt
c) wem intern die Schuld am Fehlverhalten gegeben wird: dem Management oder Mitarbeitern (Verantwortlichkeit)
d) wie stark das Unternehmen mit dem, Management, dem CEO oder dem Besitzer personifiziert wird.
Zu beachten ist der Unterschied zwischen der attribuierten Verantwortlichkeit und dem Verhaltensmuster des Unternehmens, auch tatsächlich Verantwortung zu übernehmen (nach Breitsohl auf Problemebene).
Fehlverhalten und Erwartungshaltung
Die Gesellschaft und die Bezugsgruppen erwarten, dass sich ein Unternehmen an die gesetzten und auf einem allgemeinen Konsens beruhenden Normen hält. Fehlverhalten entspricht folglich nicht den Erwartungen der Oeffentlichkeit, was zu emotionalen Reaktionen wie Enttäuschung führt und sich auf das Verhalten der enttäuschten Bezugsgruppen und die Reputation des Unternehmens (Vertrauensbruch) auswirkt.
Quellen
- Rütti, N. (26. September 2022). Wenn der Chef die Bodenhaftung verliert. Neue Zürcher Zeitung. Abgerufen am 25. September 2022 von https://www.nzz.ch/wirtschaft/skandale-bei-vw-und-credit-suisse-rolle-der-kommunikation-ld.1698515