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obos, 11. Sep­tem­ber 2025

Ver­ant­wor­tung bezeich­net die Pflicht, für die Fol­gen eige­nen Han­delns oder Unter­las­sens ein­zu­ste­hen. In Unter­neh­mens­kri­sen spielt die von Öffent­lich­keit und Anspruchs­grup­pen zuge­schrie­be­ne Ver­ant­wor­tung eine zen­tra­le Rol­le. Zuschrei­bun­gen erfol­gen unab­hän­gig von der tat­säch­li­chen Ver­ur­sa­chung einer Kri­se und basie­ren sowohl auf fak­ti­schen Grund­la­gen (Kau­sa­li­tät, Hand­lungs­fä­hig­keit, Zure­chen­bar­keit, Kon­trol­lier­bar­keit, Vor­her­seh­bar­keit) als auch auf nor­ma­ti­ven Rah­men­be­din­gun­gen (Geset­ze, Wer­te, Rol­len, Erwartungen).

 Der Begriff „Ver­ant­wort­lich­keit“ wird häu­fig syn­onym zu „Ver­ant­wor­tung“ gebraucht, weist jedoch eine leicht abwei­chen­de Bedeu­tung auf: Ver­ant­wort­lich­keit betont die kon­kre­te Zurech­nung im recht­li­chen, ethisch-sozia­len oder tech­ni­schen Sinn.

Theoretische Grundlagen

Die Attri­bu­ti­ons­theo­rie erklärt, wie Ver­ant­wor­tung zuge­schrie­ben wird. Ent­schei­dend sind der wahr­ge­nom­me­ne Ort der Ursa­che (intern vs. extern), ihre Sta­bi­li­tät (dau­er­haft vs. varia­bel) sowie ihre Kon­trol­lier­bar­keit. Je stär­ker ein Unter­neh­men als ursäch­lich, kon­troll­fä­hig und norm­ver­ant­wort­lich ange­se­hen wird, desto stär­ker fällt die Zuschrei­bung von Ver­ant­wor­tung aus (Hei­der, 1958; Wei­ner, 1985).

Ver­ant­wor­tung kann in drei Dimen­sio­nen betrach­tet werden:

  • Pflicht zur Prä­ven­ti­on: Pro­ble­me inner­halb des eige­nen Zustän­dig­keits­be­reichs sol­len ver­hin­dert werden.
  • Pflicht zur Scha­dens­re­gu­lie­rung: Unter­neh­men sol­len für ver­ur­sach­te Schä­den auf­kom­men (z. B. Ent­schä­di­gung, Reparatur).
  • Opfer­rol­le: In man­chen Fäl­len kann das Unter­neh­men selbst als Betrof­fe­ner gelten.

Schuld ent­steht, wenn zuge­schrie­be­ne Ver­ant­wor­tung mit einer Pflicht­ver­let­zung oder einem Norm­bruch ver­bun­den wird.

In der Framing-Theo­rie gilt Ver­ant­wor­tung als nor­ma­ti­ver Frame: Sie wird auf Basis gesell­schaft­li­cher Wer­te, Nor­men oder Stake­hol­der-Erwar­tun­gen zuge­schrie­ben (Ent­man, 1993).

Modelle und Ansätze

Ver­ant­wort­lich­keit kann dif­fe­ren­ziert wer­den nach:

  • Recht­li­cher Ver­ant­wort­lich­keit (gesetz­li­che Pflich­ten, Vertragsverletzungen),
  • Ethisch-sozia­ler Ver­ant­wort­lich­keit (Ver­trau­en, Moral, gesell­schaft­li­che Normen),
  • Tech­ni­scher Ver­ant­wort­lich­keit (Miss­ach­tung tech­ni­scher Regeln oder Standards).

Die Zuschrei­bung von Ver­ant­wor­tung ver­läuft auf drei Ebe­nen der Kri­sen­ver­laufs­kar­te:

  1. De-fac­to-Ver­ant­wor­tung (ver­trag­lich oder gesetz­lich verankert),
  2. Medi­al zuge­schrie­be­ne Ver­ant­wor­tung,
  3. Von Öffent­lich­keit und Stake­hol­dern wahr­ge­nom­me­ne Ver­ant­wor­tung.

Letz­te­re ist für die Kri­sen­kom­mu­ni­ka­ti­on beson­ders relevant.

Nach Coombs (2007) beein­flusst die Zuschrei­bung von Ver­ant­wor­tung maß­geb­lich die Repu­ta­ti­on des Unter­neh­mens. Abhän­gig von der Art der Norm­ver­let­zung erge­ben sich unter­schied­li­che Folgen:

  • Recht­li­cher Norm­bruch: Haf­tungs­fra­gen, recht­li­che Sanktionen,
  • Sozi­al-ethi­scher Norm­bruch: Ver­trau­ens­ver­lust, Imageschaden,
  • Wirt­schaft­li­cher Norm­bruch: nega­ti­ve Reak­tio­nen auf Märk­ten und im Finanzsektor.

Coombs unter­schei­det drei Kri­sen­ty­pen, die anhand der zuge­schrie­be­nen Ver­ant­wort­lich­keit typo­lo­gi­siert wer­den und eng mit Kri­sen­frames korrespondieren.

Anwendungsfelder und Praxisbeispiele

Ein Bei­spiel lie­fert der Fer­re­ro-Skan­dal: Obwohl das Unter­neh­men nicht bewusst oder absicht­lich eine Sal­mo­nel­len­ver­gif­tung her­bei­ge­führt hat­te, wur­de es in den Medi­en als ver­ant­wort­lich gerahmt. Grund war die all­ge­mei­ne Erwar­tung, dass Unter­neh­men für die Sicher­heit ihrer Pro­duk­te ein­ste­hen müs­sen. In der öffent­li­chen Wahr­neh­mung haf­te­te die Ver­ant­wor­tung somit nicht dem indi­vi­du­el­len Ver­ur­sa­cher, son­dern dem Unter­neh­men selbst an – ein Prin­zip, das auch im Kon­text der Pro­dukt­haft­pflicht gilt.

Relevanz für Wissenschaft und Praxis

Die Zuschrei­bung von Ver­ant­wor­tung ist für Kri­sen­ma­nage­ment und Kri­sen­kom­mu­ni­ka­ti­on zen­tral. Sie bestimmt maß­geb­lich die öffent­li­che Wahr­neh­mung, den Ver­lauf der Kri­se und die stra­te­gi­schen Optio­nen für Unter­neh­men. Eine dif­fe­ren­zier­te Ana­ly­se der Ver­ant­wort­lich­keits­zu­schrei­bung ermög­licht es, Kom­mu­ni­ka­ti­ons­stra­te­gien gezielt zu ent­wickeln und Repu­ta­ti­ons­ri­si­ken zu steuern.

Quellen

  • Beck, V. (2015). Ver­ant­wor­tung oder Pflicht? Zeit­schrift für prak­ti­sche Phi­lo­so­phie, 2(2), 165–202.
  • Coombs, W. T. (2007). Ongo­ing cri­sis com­mu­ni­ca­ti­on: Plan­ning, mana­ging, and respon­ding (2nd ed.). Los Ange­les: Sage.
  • Ent­man, R. M. (1993). Framing: Toward cla­ri­fi­ca­ti­on of a frac­tu­red para­digm. Jour­nal of Com­mu­ni­ca­ti­on, 43(4), 51–58. https://doi.org/10.1111/j.1460–2466.1993.tb01304.x
  • Hei­der, F. (1958). The psy­cho­lo­gy of inter­per­so­nal rela­ti­ons. New York: Wiley.
  • Wei­ner, B. (1985). An attri­bu­tio­nal theo­ry of achie­ve­ment moti­va­ti­on and emo­ti­on. Psy­cho­lo­gi­cal Review, 92(4), 548–573. https://doi.org/10.1037/0033–295X.92.4.548