20. August 2021
Krisenauslöser sind problematische Ereignisse, Zustände oder Handlungen, die als Missstände wahrgenommen und eine Krise auslösen können (siehe auch „Krisenbausteine“).
Mit den Krisenauslösern (andernorts: Krisenursachen) befasst sich die qualitative und quantitative Krisenursachenforschung (Krystek & Lenz, 2014. S. 38–40).
Krisenursachenmodell: Vierfeldermatrix nach Reineke (1997)
Reineke ordnet Krisenursachen nach den Kriterien Felder (intern/extern) und Wesen (immateriell/materiell) in eine Vierfeldermatrix. Die in der Matrix unten erwähnten Auslöser sind mit IT-Krisen ergänzt. Es handelt sich um Beispiele. Die Matrix erhebt folglich keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Typische interne Krisenauslöser immaterieller Art sind Führungs- und Planungsfehler (Missmanagement, Fehlverhalten). Interne Probleme wie demotivierte Mitarbeiter oder Entlassungen sind meist lediglich die wahrnehmbaren Folgen von Fehlverhalten auf der Führungsetage.
Typische interne Krisenauslöser materieller Art sind Betriebsunfälle oder Produktfehler/Produktmängel. Die meisten davon sind auf menschliches Fehlverhalten zurückzuführen. Deren Anteil wird in Luftfahrt, Medizin, Anlagentechnik, Kraftwerken auf 60 % bis 80 % geschätzt. (Wilmes 2006, S. 20)
Zu den externen Krisenauslösern immaterieller Art gehören gesellschaftliche, politisch-rechtliche, wirtschaftliche und technische Änderungen, die das Unternehmen in irgendeiner Weise betreffen. So der Wertewandel, der auf die Einstellung der Kundschaft wirkt und das Kaufverhalten beeinflusst. Änderungen dieser Art vollziehen sich langsam und werden kaum bewusst wahrgenommen, was denn auch zu einer schleichenden Krise führen kann, wenn das Unternehmen nicht entsprechend reagiert. Trends und der technische Fortschritt dagegen setzen relativ schnell und spürbar ein.
Typische externe Krisenauslöser materieller Art sind Naturkatastrophen. Auch Kriege, politische Unruhen, Vandalismus und Terroristenangriffe gehören zu solchen möglichen Auslösern von Unternehmenskrisen; besonders betroffen davon ist die Tourismusbranche. Ebenfalls Dienststahl und Hackerangriffe gehören nach Reineke zu Krisenauslösern materieller Art.
Krisenursachen aus wirtschaftlicher Sicht nach Hauschildt (2006)
Eine im deutschsprachigen Raum oft zitierte qualitative Untersuchung aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist jene von Jürgen Hauschild (Hauschildt et al., 2006, S. 7–25). Diese inhaltsanalystische Untersuchung erfasst 72 kritische Porträts von Grossunternehmen, die in der Zeit von 1972 bis 1982 regelmässig in der Zeitschrift Manager Magazin unter dem Stichwort “Missmanagement” veröffentlicht wurden. Untersucht wurden die Häufigkeiten der folgenden möglichen, vorwiegend internen Krisenursachen:
Personengeprägte Ursachen I
a. Person des Unternehmers – Ein-Mann-Regiment, unklare Nachfolge, – Festhalten an früher erfolgreichen Konzepten, – Nepotismus, Ämterpatronage, Familienstreit – Unangemessener patriarchalischer Führungsstil, – Spekulation, Verschwendung im Privatbereich, – Unkündbarkeit, Krankheit, Tod.
b. Führung – Zentralismus, mangelnde Delegation, – Koordinationsmängel, – fehlende Kontrolle, Konfliktscheu, – Entscheidungsschwäche/Politik der vollendeten Tatsachen, – häufige Fluktuation leitender Angestellter.
Institutionelle Ursachen II
a. Strategie: – Fanatisches Streben nach Marktanteilsausweitung, überhastete externe Expansion durch Zukauf vermeintlicher »Schnäppchen«, – Aufbau von Leerkapazitäten, – Kein Gespür für Zeitfenster: zu frühes/zu spätes Handeln.
b. Organisation – Über-/Unterorganisation – Falsche Spezialisierung, Unübersichtlichkeit, – Fehlen organisatorischer Anpassung und Flexibilität, – zu grossspurige Umstrukturierungen, – steuerliche und konstitutive Rechtsformnachteile. II
c. Planungs- und Kontrollsystem – Defekte in Kostenrechnung und Kalkulation, – mangelhafte Erfolgsaufschlüsselung (nach Sparten, Produkten, Kundengruppen, Filialen etc.), – fehlende Finanzplanung, – Fehlen eines konsolidierten Abschlusses, – Ungenügende IuK-Technik.
d. Personalwesen – Fehlende Personalplanung, – vorschnelle Entlassung unbequemer Mitarbeiter, – Konflikte mit Arbeitnehmern, Streik, Aussperrung, Obstruktion, Sabotage, – Scheu vor Belegschaftsabbau, – Konfliktscheu und mangelnde Härte bei Verhandlungen über Personalaufwendungen, – Unterbezahlung leistungsfähiger/Überbezahlung leistungsunfähiger Mitarbeiter.
Erfolgswirtschaftliche (operative) Ursachen III
a. Absatzbereich – Unzeitgemässe Produkteigenschaften, zu hohe/zu niedrige Qualität, – zu breites/zu schmales Programm, kein bewusstes Portfolio, – falsche Preispolitik, – keine Wertsicherung, keine Gleitpreise, – Abhängigkeit von Grosskunden, – Mängel des Vertriebsweges.
b. Investition und Innovation – Fehlendes Investitionskalkül, – Fehleinschätzung des Investitionsvolumens, – Koordinationsmängel im Investitionsprozess, – zu frühe/zu späte Investition, – Unterlassen von Investitionen (Investitionsmüdigkeit)/unzweckmässige Investitionshektik, – zu geringe F+E‑Tätigkeit, keine Innovationen, – F+E ohne Konzeption, – mangelhaftes F&E‑Projektmanagement, – mangelnde Sachkontrolle/zu starke Kontrolle, – starres Budgetdenken.
c. Produktionsbereich – Veraltete/zu neue, noch unerprobte Technologie, – hoher Produktionsausschuss, – mangelhafte Fertigungssteuerung, – örtlich zersplitterte Produktion, – zu starre Bindung an eine einzige Produktfamilie/ zu abrupter Wechsel der Produktion, – unwirtschaftliche Eigenfertigung statt Fremdbezug.
d. Beschaffung und Logistik – Starre Bindung an Lieferanten und Rohstoffquellen, – politische und Währungsrisiken bei Rohstoffimport, – falsche Lagerstandorte, – Bau statt Miete von Gebäuden, – Verquickung von Beschaffung mit Gewinnverschiebung.
Finanzwirtschaftliche Ursachen IV
a. Eigenkapital – Keine Möglichkeit des Verlustausgleichs, – Überschätzung der stillen Rücklagen, – niedrige Emissionswürdigkeit.
b. Fremdkapital – niedrige Kreditwürdigkeit, – keine Fristenkongruenz, – hohe Zinsbelastung, – unerwartete Kreditkündigungen – ausbleibende Anzahlungen, – Verlangen von Vorkasse.
Diese Studie wurde mit den gleichen Erhebungsinstrumentarien Beispiel von 142 insolventen mittelständischen Unternehmen aus den Kreditakten einer Grossbank für das Jahr 1988 wiederholt.
Es folgte eine Aktualisierungsstudie mit demselben inhaltsanalytischen Konzept, die jedoch Unternehmenskrisen für den Zeitraum von 1992 bis 2001 berücksichtigt (Ausnahme: Marktbedingungen und Marktentwicklung waren in der Ursprungsstudie der Kategorie Absatz zugeordnet).
Das nachfolgende Kuchendiagramm zeigt die relativen Häufigkeiten (in %) der zehn häufigsten Krisenursachen gemäss der Nachfolgestudie von 2006.
Fehlverhalten als Hauptursache
Gemäss dieser Untersuchung von Hauschildt, Grape und Schindler (2006) ist jede dritte Unternehmenskrise auf Führungsmängel und 5 % auf Unfähigkeit respektive Unerfahrenheit, also auf Fehlverhalten zurückzuführen. Versteht man Management als Planen, Steuern und Kontrollieren von Projekten, so lassen sich nahezu alle der im Kuchendiagramm aufgeführten Auslöser als Missmanagement interpretieren. (Baeriswyl, 2018, S. 67)