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Kohä­renz bezeich­net die inter­ne Stim­mig­keit eines kom­mu­ni­ka­ti­ven Deu­tungs­rah­mens, ver­stan­den als seman­ti­sche, nar­ra­ti­ve und emo­tio­na­le Ein­heit, die es Rezi­pi­en­tin­nen und Rezi­pi­en­ten ermög­licht, ein Ereig­nis als sinn­haft zu erfas­sen und kom­mu­ni­ka­tiv weiterzuführen.


Begriff und Grundverständnis

Der Begriff Kohä­renz (lat. cohae­re­re – „zusam­men­hän­gen“) beschreibt in der Kom­mu­ni­ka­ti­ons- und Text­theo­rie den Grad der inne­ren Ver­bun­den­heit und Sinn­haf­tig­keit von sprach­li­chen oder media­len Äuße­run­gen. Im Unter­schied zur Kon­so­nanz, die die Über­ein­stim­mung mit exter­nen Deu­tungs­mu­stern bezeich­net, ver­weist Kohä­renz auf die inter­ne Struk­tur eines Tex­tes, Nar­ra­tivs oder Frames.
Ein kohä­ren­ter Frame zeich­net sich dadurch aus, dass sei­ne Ele­men­te – Pro­blem­be­schrei­bung, Ursa­chen, Ver­ant­wort­lich­kei­ten, nor­ma­ti­ve Bewer­tun­gen und emo­tio­na­le Signa­le – inhalt­lich, logisch und affek­tiv zuein­an­der pas­sen. Kohä­renz ist somit eine Bedin­gung für Plau­si­bi­li­tät und Anschluss­fä­hig­keit im Pro­zess öffent­li­cher Sinnbildung.


Theoretische Fundierung

a) Text- und Diskurslinguistik

In der klas­si­schen Text­lin­gu­istik (Beau­gran­de & Dress­ler 1981) zählt Kohä­renz zu den zen­tra­len Kri­te­ri­en der Tex­tua­li­tät. Sie ent­steht durch kon­zep­tu­el­le Bezie­hun­gen zwi­schen Aus­sa­gen, die Rezi­pi­en­tin­nen und Rezi­pi­en­ten als zusam­men­hän­gend inter­pre­tie­ren.
Teun A. van Dijk (1980, 1988) ver­steht Kohä­renz als seman­ti­sche Makro­struk­tur von Dis­kur­sen: Sie ord­net Ein­zel­in­for­ma­tio­nen zu über­ge­ord­ne­ten Bedeu­tungs­rah­men und schafft damit kom­mu­ni­ka­ti­ve Sinn­zu­sam­men­hän­ge – ein Ansatz, der ins­be­son­de­re für Frame-Ana­ly­sen rele­vant ist.

b) Kognitive Perspektive

Kint­sch und van Dijk (1978) sowie Bru­ner (1991) beto­nen den kogni­ti­ven Cha­rak­ter von Kohä­renz. Sie ent­steht im men­ta­len Modell der Rezi­pi­en­tin­nen und Rezi­pi­en­ten, die Text­in­for­ma­tio­nen infe­ren­ti­ell zu einem kon­si­sten­ten Bedeu­tungs­ge­fü­ge ver­bin­den.
Kohä­renz ist somit kei­ne Eigen­schaft des Tex­tes allein, son­dern das Resul­tat eines akti­ven Sinn­bil­dungs­pro­zes­ses.

c) Narrative Kohärenz

In der Nar­ra­ti­ons­theo­rie (Fisher 1987) ist Kohä­renz ein Kri­te­ri­um für nar­ra­ti­ve Glaub­wür­dig­keit (nar­ra­ti­ve cohe­rence). Eine Geschich­te wirkt kohä­rent, wenn ihre Figu­ren, Moti­ve und Hand­lungs­ver­läu­fe logisch und emo­tio­nal nach­voll­zieh­bar sind.
Labov und Waletz­ky (1967) zei­gen, dass nar­ra­ti­ve Kohä­renz häu­fig durch eine struk­tu­rier­te Abfol­ge von Ori­en­tie­rung, Kom­pli­ka­ti­on und Auf­lö­sung her­ge­stellt wird.

d) Organisationale und soziale Kohärenz

Luh­mann (1984) und Weick (1995) über­tra­gen den Begriff auf sozia­le Syste­me und Orga­ni­sa­tio­nen. Kohä­renz fun­giert hier als Bedin­gung für Sen­se­ma­king: Nur stim­mi­ge kom­mu­ni­ka­ti­ve Deu­tun­gen ermög­li­chen Anschluss­kom­mu­ni­ka­ti­on und hand­lungs­lei­ten­den Sinn.
In der Kri­sen­kom­mu­ni­ka­ti­on ist Kohä­renz daher Vor­aus­set­zung für Ori­en­tie­rung unter Unsicherheit.

e) Emotionale Kohärenz

Neue­re Frame-Ansät­ze (z. B. Kle­res 2011) beto­nen, dass Kohä­renz nicht nur kogni­tiv, son­dern auch affek­tiv her­ge­stellt wird. Emo­tio­nen struk­tu­rie­ren Nar­ra­ti­ve, indem sie Bedeu­tun­gen hier­ar­chi­sie­ren und kon­si­sten­te Bewer­tun­gen för­dern. Ein Frame wirkt kohä­rent, wenn sei­ne emo­tio­na­len und kogni­ti­ven Ele­men­te kon­gru­ent sind.


Kohärenz in der Krisenkommunikation

In der Kri­sen­kom­mu­ni­ka­ti­on bezeich­net Kohä­renz die inter­ne Stim­mig­keit von Deu­tungs­rah­men und Nar­ra­ti­ven, die zur Erklä­rung, Legi­ti­ma­ti­on oder Bewäl­ti­gung einer Kri­se ein­ge­setzt wer­den.
Ein kohä­ren­tes Krisennarrativ:

  • stellt Ursa­che, Ver­ant­wor­tung, Bewer­tung und Lösung in ein nach­voll­zieh­ba­res Verhältnis,
  • bleibt in sich logisch, seman­tisch und emo­tio­nal konsistent,
  • und ermög­licht es Rezi­pi­en­tin­nen und Rezi­pi­en­ten, die Kri­se als sinn­haft inter­pre­tier­ba­res Ereig­nis zu verstehen.

Fehlt Kohä­renz, ent­ste­hen Brü­che, Wider­sprü­che oder ambi­va­len­te Signa­le, die die Glaub­wür­dig­keit der Kom­mu­ni­ka­ti­on schwä­chen. In der stra­te­gi­schen Kri­sen­kom­mu­ni­ka­ti­on ist Kohä­renz daher eine zen­tra­le Bedin­gung für Glaub­wür­dig­keit und Ver­trau­ens­auf­bau.

Kohä­renz kann zugleich als ana­ly­ti­sche Kate­go­rie die­nen, um die inter­ne Logik von Kri­sen­frames zu unter­su­chen – im Unter­schied zur Kon­so­nanz, die deren exter­ne Anschluss­fä­hig­keit an gesell­schaft­li­che Deu­tungs­mu­ster beschreibt.


Literatur

  • Beau­gran­de, R. A. de & Dress­ler, W. U. (1981). Intro­duc­tion to Text Lin­gu­istics. Lon­don: Longman.
  • Bru­ner, J. (1991). The Nar­ra­ti­ve Cons­truc­tion of Rea­li­ty. Cri­ti­cal Inquiry, 18(1), 1–21.
  • Fisher, W. R. (1987). Human Com­mu­ni­ca­ti­on as Nar­ra­ti­on: Toward a Phi­lo­so­phy of Rea­son, Value, and Action. Colum­bia: Uni­ver­si­ty of South Caro­li­na Press.
  • Kint­sch, W. & van Dijk, T. A. (1978). Toward a Model of Text Com­pre­hen­si­on and Pro­duc­tion. Psy­cho­lo­gi­cal Review, 85(5), 363–394.
  • Kle­res, J. (2011). Emo­ti­ons and Nar­ra­ti­ve Frames: A Socio­lo­gi­cal Approach to Emo­ti­ons in Nar­ra­ti­ves. Socio­lo­gy, 45(1), 70–85.
  • Labov, W. & Waletz­ky, J. (1967). Nar­ra­ti­ve Ana­ly­sis: Oral Ver­si­ons of Per­so­nal Expe­ri­ence. In: Helm, J. (Hg.), Essays on the Ver­bal and Visu­al Arts. Seat­tle: Uni­ver­si­ty of Washing­ton Press.
  • Luh­mann, N. (1984). Sozia­le Syste­me. Frank­furt am Main: Suhrkamp.
  • van Dijk, T. A. (1988). News as Dis­cour­se. Hillsda­le: Erlbaum.
  • Weick, K. E. (1995). Sen­se­ma­king in Orga­nizati­ons. Thou­sand Oaks: Sage.