Am 22. Februar 1993 gab es in Höchst einen Störfall bei der Chemiefirma Hoechst AG. Auslöser war ein Bedienungsfehler, durch den ein Druckanstieg hervorgerufen wurde. Aufgrund des Druckanstiegs hatte sich ein Notventil geöffnet. 11,8 Tonnen eines Vorproduktes namens O‑Nitroanisol waren über das Dach entwichen.
In der ersten Pressekonferenz erklärte das Unternehmen den anwesenden Journalisten, der entwichene Stoff, der sich in die umliegenden Gemeinden ausgebreitet hatte, sei mindergiftig. Und der neue Chef des Unternehmens doppelte nach: „Meine Damen und Herren, es besteht keine Lebensgefahr.“
Am selben Tag meldete die deutsche Depeschenagentur dpa, dass gegen O‑Nitroanisol ein Krebsverdacht bestehe, was den Journalisten anlässlich der Pressekonferenz nicht mitgeteilt worden war. Und so kam der Verdacht auf, dass Hoechst diesen Krebsverdacht verheimlichen wollte. Die Konsequenz war, dass in Kürze infolge einer Welle von negativen, sehr massiven kritischen Berichten ein immenser Vertrauensverlust, der Verdacht auf Vertuschung, auf Beschönigung entstand und eine ungeheure Welle von negativen, sehr massiven kritischen Berichten ins Rollen kam.
Aufgrund dieser negativen Medienresonanz entschloss sich das Unternehmen am 24. Februar zu einer Radikalkur. Es liess die Bäume in Vorgärten der betroffenen Umgebung abholzen und auf Wunsch die Büsche beschneiden. Grossmaschinen fuhren auf, welche die Strassen abfrästen, um den Stoff, der sich niedergeschlagen hatte, zu beseitigen. Auf eine Anweisung des Umweltministeriums in Wiesbaden hin mussten die Arbeiter bei diesen Räumarbeiten Ganzkörperschutzanzüge mit Gasmasken tragen.
Das Folgeverhalten der Bevölkerung und der Medien war genau das, was man eigentlich vermeiden wollte: Panik in der Umgebung und Problematisierung in den Medien. Man stellte sich die Frage, weshalb ein Unternehmen Massnahmen ergreift, die gemäss Aussagen der ersten Pressekonferenz völlig überflüssig sein müssten. Und genau dieser Widerspruch zwischen der öffentlichen Kundgebung und den übertriebenen Korrekturmassnahmen auf realer Ebene als Reaktion auf das erste negative Medienecho hin löste denn auch die eigentliche publizistische und öffentliche Vertrauenskrise aus, mit welcher sich die Firma Hoechst in den Folgemonaten auseinandersetzen musste. Nach Mathias Kepplinger wurden allein über den Unfall 702 Presseartikel in 18 Tageszeitungen und sieben Wochenblättern veröffentlicht.
Dies bringt auch zum Ausdruck, welche Rolle der externe Kommunikationsberater zur Beurteilung einer Krisensituation spielt: Er betrachtet die Geschehnisse aus der Aussenperspektive, gewichtet und beurteilt das Medienecho aus Sicht der Anspruchsgruppen, und verhindert unüberlegte, emotionale Überreaktionen gegenüber der Öffentlichkeit. (Baeriswyl, 2018, S. 192)